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Bürgermeister Schreier zum Windkraft-Protest: „So läuft keine faire Diskussion“

Südkurier Artikel, 03.09.2016

Hält viel von Windrädern: Marian Schreier, Tengens Bürgermeister, beim ofiziellen Spatenstich für die drei Tengener Windräder vor wenigen Wochen. | Bild: Jörg Braun
Hält viel von Windrädern: Marian Schreier, Tengens Bürgermeister, beim ofiziellen Spatenstich für die drei Tengener Windräder vor wenigen Wochen. | Bild: Jörg Braun

Tengens Bürgermeister Marian Schreier nimmt Stellung zum Protest von Windkraft-Gegnern in der Region. Er setzt auf nachhaltige Energieerzeugung.

Herr Schreier, wie ist der aktuelle Stand beim Windpark Verenafohren?

In den letzten Wochen wurde die Zuwegung sowie Rangier- und Lagerflächen angelegt. Schon Anfang des Jahres haben die Rodungen im Wald stattgefunden.

Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung, ob weitergebaut werden darf?

Um mit den eigentlichen Bauarbeiten beginnen zu können, braucht es die Baufreigabe, die bislang noch nicht vorliegt. Solange das Eilverfahren beim Verwaltungsgericht anhängig ist, wird diese auch nicht durch das Landratsamt erteilt werden. Wie lange das Gericht für eine Entscheidung braucht, lässt sich nicht definitiv sagen. Ich gehe davon aus, dass nachdem die Anhörungsfristen nun auslaufen es noch etwa zwei bis vier Wochen bis zu einer Entscheidung braucht.

Am Randen war es bislang völlig ruhig, von Bürgerprotesten gegen die Windräder keine Spur. Im Gegenteil: Besitzer von hunderten Grundstücken machen mit und beteiligen sie am Windprojekt. Haben Sie mit Protesten gerechnet?

In der Tat gab es in Tengen bislang keinen Bürgerprotest. Im Gegenteil: Das Projekt wird von der Mehrheit der Bevölkerung getragen und auch der Gemeinderat hat sich eindeutig dafür ausgesprochen. Deshalb habe ich nicht mit nennenswertem Widerstand vor Ort gerechnet – und dieser blieb auch nach den jüngsten Diskussionen aus. Ich ging aber davon aus, dass auch der Windpark Verenafohren ein Thema für die organisierten Windkraftgegner werden könnte.

Gibt es eine örtliche, eine Tengener Bürgerinitiative gegen das Projekt?

Nein, vor Ort gibt es keine Bürgerinitiative. Umso bemerkenswerter finde ich den Versuch, jetzt von außen Zwietracht in die Stadt zu tragen. Der fehlende Rückhalt für die Windkraftgegner in Tengen unterstreicht, dass Herr Bihler nicht für eine schweigende Mehrheit spricht, sondern überwiegend seinem persönlichen Bedürfnis an Provokation und öffentlicher Darstellung nachkommt.

Was sagen die Bürger, was meinen die beteiligten Grundstücksbesitzer zum aufkeimenden Protest?

Die Reaktionen der Bürger, mit denen ich in den letzten Tagen gesprochen habe, reichen von Verwunderung bis offenem Ärger. Viele verstehen nicht, warum erst jetzt – nachdem das Projekt über viele Monate, ja mehrere Jahre öffentlich diskutiert und schließlich einhellig unterstützt wurde – Widerspruch aufkommt.

Warum ist der Windpark für die Stadt Tengen wichtig?

Der Windpark Verenafohren ist die größte Investition der letzten Jahrzehnte in Tengen. Dies ist nicht nur ökologisch sinnvoll, weil bilanziell Strom für bis zu 20 000 Personen produziert wird, sondern auch wirtschaftlich vernünftig für die Stadt Tengen: Denn wir partizipieren über Pachteinnahmen und Gewerbesteuer am wirtschaftlichen Ertrag. Schließlich kann ich mir auch eine touristische Nutzung vorstellen. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Windwanderwegen rund um bestehende Windparks. Übrigens ist auch die oft ins Feld geführte Kulturlandschaft aus meiner Sicht ein Argument für die Windkraft. Wenn wir diese einzigarte Landschaft erhalten wollen, dann müssen wir schauen, dass die Luft und die Seen rein bleiben und dass unser Klima intakt bleibt.

Das wird nur mit einem Umstieg auf eine erneuerbare Energieversorgung gehen. Und wer einmal gesehen hat, wie die Landschaft beispielsweise durch den Braunkohleabbau umgepflügt wird, der wird bei Windrädern nicht mehr von Landschaftsverschandelung sprechen.

Die Windkraftgegner greifen Sie als Bürgermeister in ihrer jüngsten Erklärung durchaus scharf an.

Die Windkraftgegner behaupten, dass die Arbeiten ohne Baugenehmigung stattfinden und mir persönlich wird vorgeworfen, ich würde dies tolerieren. Dies ist eine Falschbehauptung, weil seit dem 30. Mai dieses Jahres die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorliegt, die wiederum die Baugenehmigung beinhaltet.

Was fehlt dann noch?

Was noch aussteht, ist die Baufreigabe, landläufig auch als roter Punkt bekannt. Für die Arbeiten an der Zuwegung und den Lagerflächen braucht es aber auch diese nicht, da hierfür separate Genehmigungen nach dem Forst- und Naturschutzrecht erteilt wurden. Jeder soll selbst bewerten, ob die Verwechslung von Baugenehmigung und Baufreigabe dem mangelnden verwaltungsrechtlichen Verständnis von Herrn Bihler geschuldet ist oder ob bewusst mit falschen Behauptungen Stimmung gemacht werden soll.

Sie beklagen, die öffentliche Diskussion über die Windkraft in der Region sei „etwas schief“. Wie meinen Sie das?

Ich finde es richtig, dass wir leidenschaftlich über die Windkraft und die Frage, wie wir unsere Energieversorgung organisieren, streiten. Und ich kann auch die Argumente der Gegner nachvollziehen. Zwei Punkte stimmen mich aber nachdenklich, die nicht nur in der Diskussion um die Windkraft zu Tage treten. Das ist einerseits der schamlose Umgang mit Falschbehauptungen und Halbwahrheiten. Das Forum Hegau Bodensee hat wiederholt mit Unwahrheiten argumentiert. Stichwort: Baugenehmigung. So lässt sich keine faire Diskussion führen. Andererseits können wir am Beispiel der Windkraft und anderer Infrastrukturprojekte beobachten, wie eine gewisse Zukunftsvergessenheit um sich greift: Alles soll bleiben wie es ist. Wir werden unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität aber nicht ohne Veränderungen erhalten können. Den Preis des Fortschritts müssen wir gesellschaftlich aushandeln, ohne gleich jedwede Veränderung abzulehnen.

Fragen: Jörg Braun

Zu Person und Projekt

Marian Schreier ist seit mehr als einem Jahr Bürgermeister in Tengen. Er modernisiert seine traditionsreiche Stadt nachhaltig und unterstützt das Windpark-Projekt Verenafohren. Dieses sieht drei Windräder mit 200 Metern lichter Höhe vor. Gebaut wird die Anlage auf dem Randen von der Interessengemeinschaft Hegauwind, der zahlreiche Stadtwerke und Stromfirmen der Region angeschlossen sind. (jöb)