Südkurier Artikel, 08.01.2020, von Gudrun Trautmann
Drei Windräder betreibt die Hegauwind GmbH in der Nähe von Tengen. Im ersten vollen Betriebsjahr 2018 lag die erzeugte Strommenge mit 16,8 Millionen Kilowattstunden noch 18 Prozent unter den prognostizierten rund 20 Millionen Kilowattstunden. Dank guter Windverhältnisse zum Jahresende 2019 wurde das Ziel erstmals erreicht. Am 8. März entscheiden die Tengener über drei weitere Mühlen bei Watterdingen.
Wind ist in einer hügeligen Landschaft wie dem Hegau nicht unbedingt die ergiebigste Energiequelle. Zu unbeständig oder unberechenbar sind die Strömungen, die sich von Bergen oder Vulkankegeln umlenken lassen. Deshalb konzentrieren sich die großen Windparks auf flachere Landschaften im Norden Deutschlands oder auf Offshore-Gebiete in der Nordsee. Und deshalb gab es im Landkreis Konstanz mit Ausnahme dreier kleiner Windräder in Stetten bis ins Jahr 2017 keine größeren Windkraftanlagen. Doch die Klimakrise erfordert neue Lösungen. Umso größer waren die Skepsis und der Protest von Windkraftgegnern, als sich elf Partner aus der Region zur Hegauwind GmbH & Co. KG zusammenschlossen, um den Windpark Verenafohren in Wiechs bei Tengen zu betreiben.
Mittlerweile laufen die drei High-Tech-Windmühlen nach anfänglichem Probebetrieb im Jahr 2017 unter Volllast. Gleich nach der Weihnachtspause hat Andreas Reinhardt zusammengerechnet, wie viel sauberen Strom der Windpark Verenafohren 2019 geliefert hat. Voreilige Schlüsse kamen für ihn nicht infrage. „Jeder Tag zählt“, erklärte er der ungläubigen Autorin dieser Zeilen kurz vor Weihnachten.
Die Windbilanz gab ihm recht. Über Weihnachten setzte der Wind am Randen die Rotorblätter der Nordex-N-131 nochmal kräftig in Bewegung und die Anlage unter Strom. Jetzt ist dem Geschäftsführer der Hegauwind GmbH der Stolz anzusehen, wenn er erklärt: „Die anvisierte Stromproduktion von rund 20 Millionen Kilowattstunden (kWh) konnte im abgelaufenen Geschäftsjahr 2019 mit 20,36 Millionen kWh erreicht werden.“ 2018 hatte der Ertrag mit 16,8 Millionen kWh noch rund 18 Prozent unter den Erwartungen gelegen.
Das Leben in Bitterfeld prägte Andreas Reinhardt
Reinhardt ist Geschäftsführer der Stadtwerke Radolfzell und teilt sich die Leitung der Hegauwind GmbH mit seinem Engener Stadtwerkekollegen Peter Sartena. Er kennt die Vorbehalte und Anfeindungen der Windkraftgegner von zahlreichen Informationsveranstaltungen. Da ist von Verspargelung der Landschaft die Rede, die dem Tourismus schaden werde; da wird gesundheitsschädlicher Infraschall ins Feld geführt, was jedoch wissenschaftlich bisher nicht erwiesen ist.
Aus eigener Erfahrung weiß Andreas Reinhardt, was es heißt, in einer umweltgeschädigten Region zu leben. Er stammt aus der Region Halle, Leuna, Bitterfeld, wo die Chemieindustrie in den 1980er Jahren den Menschen die Luft zum Atmen raubte. Reinhardt erzählt von weißen Dächern im Sommer und Kohlenstaub im Winter. Deshalb ist ihm die erneuerbare Energie zum persönlichen Anliegen geworden. „Wir müssen alles dafür tun, dezentrale und regionale Lösungen zu finden“, sagt er und führt Photovoltaik, Wasserkraft und Windenergie an. Doch genügend nutzbaren Wind gibt es im Hegau laut Berechnungen nur an zwei Stellen: Verenafohren und im Gewann Brand in Watterdingen.
Bürgermeister Marian Schreier (SPD) und der Tengener Gemeinderat haben signalisiert, dass sie in Watterdingen drei weitere Windräder befürworten würden. Am 8. März 2020 werden die Tengener in einem Bürgerentscheid bestimmen, ob ein zweiter Windpark in der Flächengemeinde entstehen soll.
Neue Anlagen erzeugen noch mehr Strom
Andreas Reinhardt hofft, dass die Zahlen von Verenafohren aus dem Jahr 2019 die Mehrheit überzeugen werden. „Der dort erzeugte Strom deckt den Bedarf von rund 20 000 Menschen“, rechnet Reinhardt vor. „Verenafohren ist eine Erfolgsgeschichte.“ Und die neuen Anlagen seien technisch noch weiter ausgereift. Mit ihnen könne noch mehr Strom erzeugt werden. „Und das ist auch dringend nötig, weil der Verbrauch weiter steigen wird“, ist Reinhardt überzeugt. „Denn ab Mitte der 2030er Jahre haben wir in Baden-Württemberg 50 Prozent weniger Kraftwerkskapazität auf der Erzeugerseite.“
Zahlen und Fakten zum Windpark
Auf Verenafohren in Tengen-Wiechs wird seit zweieinhalb Jahren Windenergie ins Stromnetz eingespeist. Nach schwachem Jahr 2018 erreichte die Betreibergesellschaft Hegauwind 2019 erstmals das Ertragsziel.
- Der Windpark Verenafohren hat einen langen Vorlauf. Er wurde von Herbst 2012 bis Frühjahr 2016 geplant und von Sommer 2016 bis Sommer 2017 unter großer Beachtung der Öffentlichkeit gebaut. Er befindet sich auf einer Pachtfläche von rund 80 Hektar mit 220 Grundstücken. Mit den Eigentümern mussten Verhandlungen und Pachtverträge geschlossen werden.
- Der prognostizierte Stromertrag wurde mit 20,454 Millionen Kilowattstunden (kWh) pro Jahr errechnet. 2019 wurde das Ziel mit 20,36 Millionen kWh fast erreicht. Genug, um 20.000 Menschen mit Strom zu versorgen.
- Die drei Anlagen vom Typ Nordex N-131 haben rund 16,3 Millionen Euro netto gekostet. Mit dem erzeugten Strom wurde 2019 erstmals ein voraussichtlicher Gewinn von rund 300 000 Euro erzielt.
- Der Gesellschaft Hegauwind GmbH & Co.KG gehören zu gleichen Teilen an: die Stadtwerke von Singen, Engen, Radolfzell, Stockach und Tuttlingen, die Gemeindewerke Steißlingen, die Thüga Energie GmbH Singen, die Bürger-Energie Bodensee eG Wahlwies, die EKS AG Schaffhausen, die SH Power Schaffhausen und die Solarcomplex AG Singen. Alle Gesellschafter sind mit je 497 500 Euro beteiligt. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer sind Andreas Reinhardt und Peter Sartena.
- Ein zweiter Windpark auf Tengener Gemarkung mit drei Schwachwindanlagen könnte nach einem Bürgerentscheid in Watterdingen entstehen. Durch die neuere Technik könne hier 50 Prozent mehr Energie erzeugt werden als in Verenafohren. Die Anlagen könnten 2022 gebaut und 2023 in Betrieb genommen werden. (gtr)